NZZ - Langweilig! Langweilig! Zu viele Wörter! (2005)

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NZZ - Langweilig! Langweilig! Zu viele Wörter! (2005)

Beitragvon Dolarhyde » 01.03.2006, 15:45

bericht aus der "Neue Zürcher Zeitung" vom 25.11.05
interview wurde beim filmfestival in venedig geführt

«Langweilig! Langweilig! Zu viele Wörter!»

Der Schauspieler Ralph Fiennes über Drehbücher, John le Carré und seinen finstren Blick

Seit seinem Auftritt in «Schindler's List» (1993) gehört der 42-jährige Engländer Ralph Fiennes - Sohn einer Schriftstellerin und eines Fotografen - zu den Stars unter den Charakterdarstellern. Marli Feldvoss hat sich am Festival Venedig mit ihm unterhalten.


Was dachten Sie, als der Brasilianer Fernando Meirelles als Ersatzmann für Mike Newell die Regie von «The Constant Gardener» übernahm?
Ich fand's gut, weil er eine neue Energie in den Film hineintragen konnte, die das Publikum so nicht erwarten würde. Die John-le-Carré-Verfilmungen waren auf der Leinwand nicht gerade grosse Erfolge, ganz anders als im Fernsehen. Le Carré schreibt ja sehr dichte, sogenannte character-driven Plots, wunderbar zu lesen mit ihren satirisch-witzigen Dialogen, aber in Drehbuchform können solch dicht gewebte Handlungsstränge sehr schwergängig werden. Wir haben eine Menge Ballast abgeworfen. Fernando hat eine gute Nase dafür. Er mag keine langatmigen Expositionen mit Leuten, die ewig in einem Wohnzimmer herumschwafeln.

Ich glaube, es war Hitchcock, der gesagt hat, man solle das Publikum nicht allzu gut informieren, sondern es lieber im Ungewissen lassen - nicht beim Schreiben, sondern in der Art, wie der Film gedreht wird. In «The Constant Gardener» gibt es oft Einstellungen, bei denen sich die Kamera hinter meinem Kopf befindet. Und wenn ich den Kopf dann drehe, sieht man nur einen Teil meines Gesichts. Die Schnittwahl ist manchmal direkt brutal; dadurch soll der Plot vorankommen, aber es dient eben auch dem Geheimnis.


Bild- gegen Wortmacht

Spüren Sie den Schnitt schon beim Spielen?

Nein, eigentlich nicht. Ich weiss jetzt bloss mehr darüber als früher. Wenn man bei der Entwicklung einer Figur mehr Spielraum hat, kann man für den Schneidetisch mehr Angebote machen - umso grösser ist die Auswahl an Nuancen, die der Cutter dann zur Verfügung hat.


Eigentlich würde man denken, dass der «Cidade de Deus»-Regisseur für einen Shakespeare-Darsteller eher ein Problem darstelle.
Überhaupt nicht. Er ist in jeder Hinsicht my cup of tea. Ich bewundere seine Art zu arbeiten. Ich sage das nicht nur so. Jemand wie Fernando ist sogar gerade gut für Schauspieler wie mich, weil er einen Instinkt für wenige Worte hat, was gut fürs Kino ist. Das Drehbuch war einfach zu wortreich; er hat es gekürzt und Szenen gestrichen. So gibt er dem Schauspieler überhaupt erst den Raum, sich vor der Kamera zu entfalten. Wenn es zu viele Wörter gibt, wenn es zum Schauspiel wird, dann fühlt man sich als Schauspieler aufgefordert, alle Kräfte zu mobilisieren, um mittels seiner Wortmacht zu überleben - schlimmstenfalls wird es theatralisch. Je einfacher, desto besser. So mag es Fernando und bleibt stets locker. Wir haben immer gelacht, wenn er dazwischenfunkte: «Langweilig! Langweilig! Zu viele Wörter! Weg damit!»


Meirelles unterstreicht ja gern seine Defizite, was seine Kenntnisse über die Englishness betrifft.
Wenn man den Roman liest, wird einem sehr bewusst, dass Justin ein Eton-Schüler war, Sandy hingegen von einer weniger bekannten public school kam - all das Zeug über Klassen und Schulen. Es ist unterhaltsam zu lesen, aber auf der Leinwand wirkt es altbacken. Es war gut, dass sich Fernando dafür nicht so interessierte. Es reicht, wenn man das Gefühl hat, dass Justin ein gebildeter Engländer aus gutem Hause ist. Es geht um den Charakter, nicht den Hintergrund.


Geheimnisvolle Charaktere

Bevorzugen Sie eigentlich dunkle Charaktere? Sie haben oft so einen düsteren, distanzierten, auch gefährlichen Blick.

Ja, ich kann ziemlich düster aussehen, wenn ich muss. (Lacht) Vielleicht fühle ich mich sogar hingezogen zu Rollen, bei denen ich meinen düsteren Blick ausspielen kann. Der «Englische Patient» war ein Mann, der auf keinen Fall wollte, dass irgendjemand wusste, wer Laszlo de Almásy in Wirklichkeit war. Ich erinnere mich, dass der Regisseur Anthony Minghella auf dem Set sagte: «Meinst du, du könntest einmal lächeln? Wie Almásy?» Almásy hatte schon entschieden, dass er nur einmal in der Szene im Schlafzimmer lächeln würde, wenn er die Platte auflegt. Ich denke - nein, ich weiss, dass ich verschiedene Rollen spiele. Aber jeder Schauspieler benutzt sich selbst, deshalb sieht das Publikum gern die Gemeinsamkeiten im Vordergrund. Aber in meinem Kopf spiele ich immer eine bestimmte Person, die so oder so ist.


Was hat Sie an «The Constant Gardener» am meisten interessiert?
Die Figur. Ich mag diesen Mann, ich fühle mich ihm verwandt. Ich mag seine Leidenschaft fürs Gärtnern, für Pflanzen. Er ist nicht dazu auserwählt, ein Held zu sein, aber er ist ein ehrbarer Mann, der plötzlich auf seine Art zu einem Kreuzfahrer wird. Er ändert sich dabei keine Spur. Ich mag seine Gesinnung, wer er ist, jemand, der seine Privatsphäre bewahrt. Er findet auf seine behutsame Art den Weg zur Wahrheit.


«Nur ein Schauspieler»

Wie haben Sie sich vorbereitet?

Ich wollte vor allem wissen, was es heute heisst, Diplomat zu sein. Ich habe Leute aus der High Commission getroffen, was so etwas wie die britische Botschaft von Nairobi ist. Alle waren sich einig, dass es Leute wie Justin überhaupt nicht gebe. Ich habe schliesslich doch einen früheren Diplomaten gefunden, der Justin sehr ähnlich war. - Wissen Sie, ich werde immer wieder auf die Pharmaindustrie angesprochen, als wäre ich irgendein offizielles Sprachrohr. Ich bin nur ein Schauspieler, der eine Rolle spielt und ein bisschen recherchiert. Mehr nicht. Ich habe keine Insiderinformationen, ich teile nur die Skepsis vieler gegenüber gewissen Praktiken. Ich unterschreibe, wenn es darum geht, dass die Bosse der chemischen Industrie wegen der zu teuren Arzneimittel ins Kreuzverhör genommen werden oder dass der Zugang zu den Arzneimitteln für die gewährleistet sein soll, die sie am dringendsten benötigen.

Autor: Marli Feldvoss
Quelle: nzz.ch
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